1336 Tage Arbeitskampf bis zur selbstverwalteten Kooperative
Scop Ti – Société coopérative ouvrière provencale de thés et infusion ist eine kollektiv verwaltete Teekooperative in Géménos bei Marseille. Sie arbeitet nach den Prinzipien der sozialen und solidarischen Wirtschaftsweise und organisiert sich in basisdemokratisch-partizipativen Strukturen. Seit 2014 produziert sie zwei eigene Teemarken aus solidarischer Arbeit und bemüht sich dabei, immer stärker auf Tee aus biologischer Landwirtschaft umzustellen.
Entstanden ist die Kooperative aus einem langwierigen und harten Arbeitskampf gegen das multinationale Unternehmen Unilever, das 2010 beschloss, die Teefabrik Fralib in Géménos mit 182 Beschäftigten zu schließen, um die Produktion nach Polen auszulagern. Dagegen gingen die Arbeiter*innen mit Protesten und gerichtlichen Klagen vor und bekamen Recht: die vom Unternehmen vorgeschlagenen Sozialpläne, mit denen es sich aus der Verantwortung ziehen wollte, wurden von französischen Gerichten dreimal für ungültig erklärt.
2011 sprach Unilever trotzdem die ersten Kündigungen aus, worauf ein Großteil der Arbeitenden den Betrieb besetzte. Nach einem Gerichtsurteil im November 2011 musste Unilever die Leute wieder einstellen und die Produktion wieder aufnehmen – das Ende der ersten Besetzung.
Nachdem Unilever 2012 ankündigte, die Maschinen abzutransportieren, besetzten die Arbeiter*innen erneut das Gelände. Dieses Mal über dreieinhalb Jahre lang – genau 1336 Tage. Eine Zahl, die anschließend der Name ihrer Teemarke wurde.
In dieser Zeit nahm der von Gewerkschaften und Teilen der Zivilgesellschaft unterstützte Widerstand vielfältigste Formen an und reichte vom Boykott der Unilever-Teemarken und der Blockade des zentralen Logistikzentrums des Unternehmens, über Demonstrationen und Mahnwachen in Paris bis hin zu einer Soli-Tour mit eigens gegründeter Band und Theatergruppe. Immer wieder wurde von Unilever aus versucht, die Bewegung durch hohe Abfindungsangebote zu spalten und durch Einschüchterungen, Anzeigen und lange Verhandlungspausen zu schwächen. Auch wenn durchgängig ungewiss war, ob ihr Widerstand erfolgreich sein würde, ließ sich ein Großteil der kämpfenden Arbeiterschaft nicht beirren, im Gegenteil: Sie machten ihren Kampf national bekannt, vernetzten sich mit anderen Arbeitsbewegungen und galten wegen ihres Mutes und ihres Durchhaltevermögens bald als Vorbild.
Im Mai 2014 erfolgte endlich eine Einigung mit Unilever: Das Unternehmen überließ der frisch gegründeten Kooperative Scop Ti für einen symbolischen Euro die Maschinen, der Gemeindeverband der Stadt Marseille kaufte das Fabrikgelände auf, alle verbliebenen Arbeiter*innen erhielten eine Entschädigungszahlung und die Kooperative ein kleines Startkapital. Die Rechte an den Teemarken und die Abnahmegarantien rückte das Unternehmen jedoch nicht heraus – ein schwerer Schlag, denn so sah sich die junge Kooperative ihres wichtigen Handelsnetzes beraubt. 2015 entwarft sie also eine neue Produktionslinie und vertreibt seitdem zwei eigene Teemarken, die sie vor allem über französische Handelsketten verkauft und Stück für Stück im Land bekannt macht. Trotz hoher finanzieller Lasten für das junge Projekt, werden alle 48 nach der zweiten Besetzung verbliebenen Arbeiter*innen als Mitglieder in die Kooperative aufgenommen. Es erfolgt eine komplette Umstrukturierung des Betriebes, der sich fortan als Kooperative kollektiv selbstorganisiert. Viele Arbeiter*innen erhalten Weiterbildungen, um alle anfallenden Aufgaben der Produktionskette (Verwaltung, Produktion, Qualitäts- und Hygieneprüfung, Logistik, etc.) abdecken zu können und den Betrieb selbstorganisiert am Laufen zu halten.
„Seinen Arbeitsplatz behalten zu können ist ein schöner Sieg, aber zu zeigen, dass diese Art zu wirtschaften möglich ist, das ist der schönste Sieg.“
Kollektiv selbstorganisierte Arbeitsstruktur: Die Kooperative organisiert sich in kollektiven Arbeitsstrukturen. Entscheidungen werden dabei gemeinschaftlich in einer Generalversammlung oder von einem gewählten, elfköpfigen Verwaltungsrat getroffen, der für vier Jahre von den 58 Mitgliedern der Kooperative bestimmt und von einem Leitungsgremium kontrolliert wird.
Soziale und solidarische Wirtschaftsweise: In ihrer Arbeit geht es Scop Ti um gerechte Löhne für die Produzierenden und Dienstleistenden, sei es auf den Kräuter- und Teefeldern oder in der Fabrik. Durch die Selbstverwaltung müssen keine Gelder mehr an Aktionäre gezahlt werden und in der Produktionskette öffnet sich ein größerer Spielraum für bessere Arbeitsbedingungen. Unter anderem wollen sie mehr direkte und solidarische Handelsbeziehungen zu Produzent*innen in Frankreich und der Welt aufbauen. Neben den Kooperationen mit lokalen Landwirt*innen aus der Provence entsteht daher gerade für den Import von grünem Tee eine direkte Handelsbeziehung mit einem kleinbäuerlichen Produzenten aus Suoi Giang, Vietnam.
Möglichst lokale und biologische Produktion: Die Kooperative hat ihre Produktion seit der Übernahme zu großen Teilen auf lokale und biologische Produktion umgestellt. Dies ist den Mitgliedern der Kooperative sehr wichtig und sie treiben die Umstellung weiter voran Denn hierdurch werden regionale Pflanzen und lokales Handwerk wiederbelebt, Arbeitsplätze vor Ort gehalten und das regionale Handelsnetz gestärkt. Verwendete Aromen sind natürlichen Ursprungs.
Artikel „Darauf einen 1336” aus analyse & kritik, Nr. 622, Dezember 2016
Dokumentarfilme „Pot de Thé - Pot de Fer“ (2011) und „1336 Tage. Höhen, Tiefen, aber immer aufrecht“ (2015) – französisch mit deutschen Untertiteln
Webseite der Kooperative auf Französisch
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